Ernani – Alles eine Frage der Ehre (2024)

Um der Ehre willen das eigene Leben verpfänden – das ereignet sich nur im Umfeld einer grotesken Moral, vielleicht im engen Netzwerk der Mafia. Oder eben in der Oper! Giuseppe Verdis erster Welthit Ernani, 1844 in Venedig uraufgeführt, nutzt das Drama Hernani oder die kastilische Ehre von Victor Hugo als Vorlage. Von Mantel-und-Degen Stück über Eifersuchtsdrama, kaiserliche Himmelfahrt und tragischem Finale bietet Ernani ein Wechselbad der Gefühle. Und das Publikum hat seine Freude daran, genießt in der Oper Bonn eine temperamentvolle Premiere dieses ungestümen frühen Verdi.

In Ernani blicken wir dem großen Verdi beim Wachsen und Werden quasi über die Schulter. Er entscheidet sich trotz des politisch brisanten Themas für Hugos Stoff und reduziert die dramatis personae radikal. Übrig bleiben die vier Protagonisten Ernani, Elvira, Silva und König Carlo. Und der Chor! Mit Francesco Maria Piave, der hier sein erstes Opernlibretto verfasst, hat er einen ehrgeizigen Partner zur Seite, dessen Verse um onore, amore und vendetta, Ehre, Liebe und Rache, kreisen. Musikalisch erprobt Verdi Glanzstücke seiner späteren, reifen Werke, wie etwa die Vergänglichkeitsarie des König Carlo mit dem Cello-Solo, die später Philipp im Don Carlos zum kontemplativen Herrscher macht.

Entwirren wir zunächst einmal die Erzählstränge dieses kruden Plots. Ernanis Vater wurde vom Vater des jetzigen Königs im Machtkampf um den Thron ermordet. All seiner Güter und Titel beraubt, zieht Ernani nun als Geächteter mit einer Räuberbande umher. Er ist unsterblich (!) in Elvira verliebt und um sie zu entführen, begibt er sich in das Schloss ihres Onkels Silva, der die Hochzeit mit seinem Mündel plant. Dort trifft nun König Carlo ein, der – wie ein Herzog von Mantua im Rigoletto – Elvira einfach haben muss. Er betatscht sie übergriffig, bis sie sich nur noch mit einer Pistole zur Wehr setzen kann. Der tattrige Silva reibt sich schon die Hände: In kürzester Zeit wird die schöne Elvira ihm zu Willen sein.

Ernani – Alles eine Frage der Ehre (1)

Was für ein Irrwitz! Drei Männer – eine Frau. Der König buhlt mit einem bandito um die Wette. Er befiehlt, Ernani auszuliefern. Aber Silva fühlt sich an das heilige Gastrecht gebunden. Wer in seinem Hause aufgenommen wird, den behandelt er als Bruder. Er bietet also dem König die Stirn und beruft sich auf einen Familienschwur. Allerdings nicht ohne Absicht. Mit Ernanis Hilfe will er den König meucheln, der gute Chancen hat, zum Kaiser gewählt zu werden. Hand drauf, wir schwören.

Wir schreiben das Jahr 1519, sei der Krönung Karls des Großen sind gut 700 Jahre vergangen. Die Kurfürsten und Granden versammeln sich also in Aachen; Ernani, Silva und die Aufrührer sind auch mit von der Partie. Carlo steigt in die Gruft hinab, um sich mit seinem großen Namensvetter und Vorgänger auf dem Kaiserthron im Geiste zu verbinden. Salutschüsse, die Wahl ist vollzogen, Jubelchor. In krassem Licht werden die Rebellen entlarvt und Kaiser Carlo V (der später im Don Carlo in der Gruft begraben liegt) verkündet die Strafe für seine Widersacher:

Ernani – Alles eine Frage der Ehre (2)

Die Adligen werden geköpft und das gemeine Volk ins Gefängnis geworfen. Ernani gibt sich zu erkennen und fordert, als rechtmäßiger Herzog auch geköpft zu werden. Obacht, jetzt erfolgt der rascheste Sinneswandel der Geschichte. In nur drei Takten fällt die Rachsucht von Carlo ab und er wird zum milden Landesvater. Er begnadigt alle und stiftet die Ehe zwischen Ernani und Elvira, die er noch als Geisel mit sich führte. Mit Bühnennebel und Himmelfahrt und einer bombastischen Hymne nur so in der frühen Verdi-Oper möglich.

Erneuter Szenenwechsel, zurück nach Spanien. Ernani und Elvira sind vermählt, sie wollen sich ins Brautgemach zurückziehen. Happy End? Mitnichten. Denn der doppelt düpierte Silva entpuppt sich als Racheengel. Zu tief sitzt der Schmerz, dass er Carlo nicht persönlich töten durfte, dieser dann Kaiser wurde und nun dieser „hergelaufene“ Ernani mit seinem Objekt der Begierde verbunden ist. Er zieht die Karte des zweiten Schwurs. Ernani hatte sein Leben in Silvas Hand gegeben, als dieser ihn vor dem Schlägertrupp des Königs verbarg. Wann immer es ihm beliebe, lasse er das Horn erklingen und Ernani müsse sich selbst töten. Was für ein unglaubwürdiger Deal, zumal Ernani selbst diesen Schwur initiierte!

Das Horn ertönt und statt im Liebesglück endet das Stück in der Katastrophe. Kein Beschwörung Elviras, kein Bitten um Gnade von Ernani erwirken Milde bei dem Alten. Sterben muss er, der Titelheld. Und Elvira? Sie hat sich erfolgreich dem Lustmolch Carlo widersetzt und die Hochzeitspläne des Tattergreises durchkreuzt. Für eine Minute Glückseligkeit. Nach Ernanis Selbstmord bleibt ihr nur das einsame Hadern mit dem Himmel.

Wie wird aus diesem Wirrwarr eine so unterhaltsame Opernproduktion? Indem der wilde Mix in eine Kunst des Kontrasts mündet. Die vier Akte könnten unterschiedlicher nicht sein. In riesigen Lettern prangen ihre Titel auf dem Vorhang: Der Geächtete, Der Pakt des Todes, Die Verschwörung und Der Altar der Rache (Im original Libretto Der Bandit, Der Gast, Die Güte, Die Maske). Auf der Bühne gibt es dazu Silvas Palast – nicht als goldenen, sondern als eiskalten, grau-weißen Käfig. Wie die Landekapsel eines Raumschiffs steht sie auf gespreizten Stahlträgern und Baustützen. Im Mauerwerk sind allerdings Einschusslöcher zu sehen, das ganze Gebäude also angeschlagen und fragil. Bodenhaftung und Verbindung zum wilden Räuberleben außer- oder unterhalb dieser adligen Gesellschaft bildet eine Treppe.

Das Oben und Unten setzt sich im Krönungsakt fort. Carlo steigt in die von von Totenschädeln gesäumte Katakomben hinab, um dann in Purpur gehüllt auf dem original nachgebauten Thron Karls des Großen im Aachener Dom vom überbordenden Risorgimento-Chor glorifiziert gen Himmel aufzufahren. Was für ein Pathos! Das dann krachend im Finale zusammenbricht. Wieder bei Silva, aber die Ordnung ist zerfallen, die Wände eingestürzt, Moniereisen und Kabel hängen aus der Bodenplatte. Die Bildersprache sagt: Diesem Paar ist kein Liebesglück beschieden.

Das stimmliche Aufeinandertreffen der Männerpartien trägt zur Idee der Gegensätze bei, ein „vokales scontro“. Eigentlich ganz einfach, diese Oper zu spielen. Man muss sie nur mit den besten Sängern und der besten Sängerin besetzen! Denn hier zeigen sich im frühen Verdi die großen Herausforderungen, die seine Partitur an die Solisten stellt. Der Bass überzeugt nur, wenn er seine abgrundtiefe Boshaftigkeit, seine diabolische Freude am Vernichten im Gesang ausdrückt. Pavel Kudinov singt die Partie hier zum zweiten Mal und paart seine Stimme mit bisher nie erlebter Spielfreude.

Ernani – Alles eine Frage der Ehre (3)

George Oniani glänzt als Titelheld mit seinem eindrücklichen Tenor, für die Rollen der Verdi-Helden wie geschaffen. Er setzt sich mit seinem hellen Klangbild sehr deutlich von den beiden Bösewichtern (der eine am Ende geläutert) ab. Als Gegenüber im Liebesduett und im dramatischen Todesfinale von Elvira ergänzt er deren Sopran ganz im Sinne der Verdi-Tenöre: eher weich und selbstzweifelnd. Die Rolle der begehrten Schönen verlangt eine große Bandbreite, von der Kraft einer Tosca bis zur agilità, der Kunst der Ausschmückung. Yannick-Muriel Noah powert mit ihrer Stimme und lässt sie in der Verzierungen der Cabaletta mäandern und kunstvolle Koloraturen einflechten.

Die gestaltet auch der Bariton Federico Longhi als Carlo herrlich abwechslungsreich. Mit aller Macht seiner Position weist er seine Gegenspieler in die Schranken, quält sie sad*stisch und greift Elvira an die Wäsche. Sein Verführungsrepertoire umfassen aber auch zärtliche, suggestive, nahezu gehauchte Verzierungen an Elviras Hals. Die Botschaft ganz klar: Du entkommst mir nicht. Schließlich entsagt er dieser Leidenschaft, denn seine Herrscherehre steht für ihn über seiner Begierde. Ein fabelhafter Sänger, der in der Königsrolle sein Bonner Debüt gibt.

Die kleineren Rollen der Hofdame Giovanna sind mit Ingrid Bartz, des Jago mit Michael Krinner, einem Mitglied des Kölner Opernstudios, und mit Tae Hwan Yun als Riccardo mit schönen Stimmen überzeugend besetzt.

Mein Lieblings“sänger“ dieses Bonner Ernani? Der Chor! Die knapp 60 Damen und Herren aus Chor und Extrachor hat Marco Medved, maestro del coro, bestens auf ihre unterschiedlichen szenischen Auftritte vorbereitet. Sotto voce schwören Sie ihrem Räuberhauptmann Treue, um dann fortissimo in einen großen Einigkeitsjubel auszubrechen; der Chor hat Feuer und hier keine kontemplative Funktion. Er bildet Elviras Hofdamen, die Wachleute in der Burg Silvas, die Verschwörer im Aachener Dom und das Gefolge des Königs. Mitspielen erhält hier eine völlig neue Bedeutung; der Chor ist aktiv involviert, zeigt sich als eigenständige „Person“, die dem Geschehen einen richtigen spin gibt. Toll gemacht die unterschiedlichen Kostüme für jede Funktion, die erst beim Hochzeitsball bunt blitzende Petticoats der Damen erlauben.

Im Graben gibt Maestro Will Humburg mit großem drive den Ton an. Er drückt auf die Tube, macht Tempo scheinbar bis an die Grenze des Möglichen und verlangt dem Orchester wie dem cast höchste Konzentration und Disziplin ab. Für den Auftritt der Banda auf der Bühne mit 20 Blechbläsern gibt er kurz den Taktstock an Silva ab, der sich ja tatsächlich als master of desaster entpuppt. Humburg liebt „seinen“ Verdi und setzt alles daran, dem Publikum seine Freude an dieser grandiosen Musik zu vermitteln. Die Brüche der Handlung kittet er nicht, sondern lässt die Kontraste brausen und toben, gibt der Dynamik und den großen Emotionen ihren Raum. Fazit: Zwei Stunden kurzweiliges, unterhaltsames musikalisches und theatralisches Vergnügen. Viva Verdi!

Ob in der Theaterzeitung, im General-Anzeiger, in den überregionalen Printmedien und Online-Formaten – die wunderbaren Bühnenfotos von Thilo Beu geben dem geschriebenen Wort das visuelle Pendant. Eine Szene mit einem shot prägnant und aussagekräftig einzufangen – auch das ist große Kunst.

Die Oper Bonn spielt Ernani noch sieben Mal bis zum 23. Juni 2022. Infos und Karten hier.

Ernani – Alles eine Frage der Ehre (2024)
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Author: Melvina Ondricka

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